Wie fällt die Getreideernte weltweit aus? Es gäbe eine lange Liste mit Bauernregeln, die zurate gezogen werden könnte. Sie helfen aber nicht, global belastbare Aussagen zu liefern, gerade auch in Anbetracht des Ukraine-Krieges und schon gar nicht tagesaktuelle Vorhersagen. Und überhaupt ist es besser, bei diesem Thema auf Daten zu setzen. Genau das macht ein im TGZ Würzburg ansässiges Start-up.
green spin kann mithilfe von Satellitendaten und KI tagesaktuelle Ernteprognosen für Anbaugebiete weltweit liefern. Ihre Lösung wird „inzwischen von Landwirten, Großhändlern, aber auch Organisationen wie der Food and Agriculture Organization of the United Nations (FAO), der Welternährungsorganisation, eingesetzt“, wie es in dieser Pressemitteilung heißt.
Wir hatten die Pressemitteilung gelesen und dem Gründer Gunther Schorcht daraufhin einige Fragen geschickt. Bevor wir dazu kommen, etwa Kontext.
Wie werden Ernteprognosen bislang erstellt?
Getreide und weitere landwirtschaftliche Produkte werden ja wie Aktien auch an Börsen gehandelt. Daten zu Ernteerträgen beziehen Großhändler bislang von der US-amerikanischen Landwirtschaftsbehörde. Laut Pressemitteilung veröffentlicht sie „seit über 100 Jahren monatliche Vorhersagen zu Erntemengen für alle Anbauregionen der Welt. Ihre Analysen basieren hauptsächlich auf persönlichen Gesprächen mit Landwirten sowie nicht offen zugänglichen statistischen Auswertungen.“
Was macht green spin anders?
Statt Befragungen durchzuführen, nutzt green spin Satellitendaten und kombiniert sie mit denen aus Klimamodellen des Deutschen Wetterdienstes. „Anschließend werden die gewonnenen Informationen in Algorithmen der künstlichen Intelligenz verarbeitet, um daraus Prognosen zur Menge der erwartbaren Ernte abzuleiten.“
Dadurch kann das Würzburger Start-up mehrmals wöchentlich Informationen veröffentlichen statt wie bisher nur einmal monatlich. Diese Aktualität ist wichtig, denn „gerade im Zeitraum des Pflanzenwachstums bestehen große Unsicherheiten über die Erntemengen, die zu Preisschwankungen an den Rohstoffbörsen führen. Wenn in den Anbaugebieten Australiens eine Rekordernte wartet oder im Getreidegürtel der Great Plains (USA) eine Jahrhundertdürre die Ernte vernichtet, führt das auch in deutschen Unternehmen zu deutlichen Verschiebungen in den geplanten Lieferketten.“ Und das wirkt sich natürlich auf die Getreidepreise aus.
Jetzt aber zum Interview mit Gunther Schorcht, Gründer und Geschäftsführer der green spin GmbH.
Gunther, green spin erstellt Prognosen für Weizen …
Genau Weizen sowie Mais und Reis. Wir planen, auch Soja aufzunehmen. Das spielt weltweit ebenfalls eine große Rolle.
Wie viele Länder habt ihr in eurer Datenbank?
Aktuell 34. Das deckt beispielsweise 72 Prozent der weltweiten Anbaufläche bzw. 90 Prozent des gehandelten Weizens ab.
Wie ist es um die Ernte in Deutschland bzw. weltweit aktuell bestellt (Stand Juli 2022)?
Im Ganzen wird 2022 ein leicht unterdurchschnittliches Jahr. Das liegt hauptsächlich am Ukraine-Krieg und den dadurch bedingten Ernteausfällen.
Ansonsten sieht es eigentlich gut aus mit leicht überdurchschnittlichen Erträgen in den größten Anbaugegenden der Welt, einschließlich Deutschland, USA und Russland.

Bodenfeuchtigkeit in Kansas (USA) 2012 vs. 2022
Wie stark wirkt sich der Ukraine-Krieg auf die Erntesituation weltweit aus?
Bezogen auf die zu erwartenden Ernteerträge sind die Auswirkungen stark zu spüren. Das liegt vor allem daran, dass niemand derzeit einschätzen kann, wie viel Getreide/Mais die Ukraine über welche Wege verlassen kann und wird. Das betrifft auch die aktuelle Entwicklung, die Häfen der Ukraine für Getreidelieferungen wieder frei zu machen. Am Tag nach der Ankündigung (Anm. 22. Juli 2022) wurde der Hafen in Odessa beschossen. Niemand kann sagen, ob und wie viel Getreide letztendlich die Ukraine verlassen wird.
Getrieben wird der Preis gerade auch wegen der Sorge um eine Rezession; weniger Nachfrage auf dem Weltmarkt führt zu fallenden Preisen.
Das klingt erst mal gut für die Endverbraucher, ist aber schwierig für Landwirte. Die hatten auf steigende Preise gehofft, um so die hohen Düngerpreise teilweise wieder reinzuholen. Die Auswirkungen dazu werden wir erst nächstes Jahr erleben.
In den Medien liest man zunehmend von Extremwettereignissen. Wie stark beeinflussen sie die Ernte?
Das schwierige bei diesen Ereignissen ist zum einen die Regionalität, zum anderen die Ausnahmesituation an sich.
Solche Ereignisse führen durchaus zum Ausfall ganzer Ernten einer Region. Die Modelle stehen hier vor der Schwierigkeit, dass sie nur das wiedergeben können, worauf sie trainiert wurden. Das heißt, diese Situationen können nur teils in der vollen Stärke vorhergesagt werden. Wir sagen immer: Jedes Jahr ist ein gutes Trainingsjahr für unsere Modelle.
Wie viele Jahre gehen die Daten zurück bzw. fließen auch historische Daten in eure Analysen ein?
Alle Daten, die wir nutzen, gehen zurück bis 2000; Klimadaten bis sogar 1979. Auch zur Visualisierung nutzen wir alle Jahre, um den Kunden vor Augen zu führen, welche Jahre mit dem aktuellen vergleichbar sind.
Wer sind eure Kunden?
Unsere Auftraggebenden können aus eigentlich allen Bereichen kommen, die sich mit der Verarbeitung von Nahrungsmitteln beschäftigen, bis hin zu den Produzenten von Tiernahrung. Da wir unsere Daten bis zur Landkreisebene anbieten, können wir auch für regional einkaufende Großmühlen wichtige Informationen liefern.
Wie kam es überhaupt zur Idee, green spin zu gründen?
Wir haben 2012 an der Uni Würzburg am Lehrstuhl für Fernerkundung gearbeitet und in dem Zusammenhang unter anderem auch Satellitendaten [Anm. des europäischen Copernicus-Systems und der NASA] zum Thema Landwirtschaft ausgewertet. Das großartige an diesen Daten ist, dass sie global zur Verfügung stehen und immer wieder mit gleicher Qualität Informationen bereitstellen.
Daraus entstand die Idee, aus einem kleinen Uni-Projekt eine globale Plattform zu bauen und die gewonnenen Einblicke beispielsweise Getreidehändlern anzubieten.
Zudem gab es eine steigende Volatilität an den Getreidemärkten – gerade auch 2012. Volatilität heißt, dass der Preis für eine Tonne Weizen sich damals schon viel mehr als früher bewegte und Getreidehändler sich vermehrt um Informationen zum jeweils aktuellen Stand der Wachstumsbedingungen bemühten. Die gab es aber so noch nicht bzw. eben nur monatlich von der US-amerikanischen Landwirtschaftsbehörde.
Was machte 2012 zu einem besonderen Jahr im Hinblick auf die Getreidemärkte?
2012 gab es in den USA in der Wachstumsperiode von Weizen eine Trockenperiode (Dürre). Sie hat sich erheblich auf die Ernteerträge ausgewirkt. Ähnliche Bedingungen gab es kurz darauf auch in der Schwarzmeerregion, Kasachstan und später noch Russland.
Allein in Russland sind dadurch damals mehr als fünf Millionen Hektar Anbaufläche verloren gegangen. Grund dort war vor allem ein warmer Winter gepaart mit einem trockenen Frühjahr.
Das hat dazu geführt, dass der Weizenpreis an den Börsen stark nach oben ging. Und das sind hauptsächlich Bedingungen gewesen, die man mit Daten, wie wir sie von green spin heute anbieten, frühzeitig hätte sehen können.

Niederschläge 2022 vs 2012 in Kansas (USA)
Zum Schluss noch das Thema „Open Data“. In eurer Pressemitteilung heißt es, dass der Ausbau und die Vereinheitlichung von frei verfügbaren Daten wichtig sind. Dem sollten sich Regierungen weltweit annehmen. Welche Daten nutzt ihr aktuell und auf welche Datenquellen hättet ihr gerne Zugriff?
Wir nutzen hauptsächlich Daten des Copernicus-Systems, der NASA und des Deutschen Wetterdienstes (DWD).
Unser Wunsch ist, dass noch viel mehr Daten frei zugänglich sind. Andere Länder, auch innerhalb der EU, sind hier schon deutlich weiter als Deutschland. Das betrifft auch Datenformate: Open Data bedeutet hier in den seltensten Fällen, dass solche Daten sofort nutzbar sind.
Interessant wären auch Daten der Landesämter zu spezifischen Informationen aus der Landwirtschaft, etwa wo wird was angebaut, Feldgrenzen, Handel etc.
Vielen Dank für die Einblicke, Gunther.
Falls noch nicht geschehen, lies die Pressemitteilung. Auch die Main-Post hat einen Artikel zu green spin veröffentlicht.
Zum Schluss doch noch eine Bauernregel:
Von Weihnachten bis zum Dreikönigstag aufs Wetter man wohl achten mag, denn wie das Wetter sich da verhält, so ist es die neuen Monate bestellt.
Und jetzt müssten wir nur noch wissen, wie das Wetter da war und auf wie viele Monate sich das „neue“ bezieht. Daher: Besser auf Daten und Machine Learning setzen. 😉
Foto: Polina Rytova