Wie groß ist mein CO₂-Fußabdruck im Bereich Mobilität und wie kann ich ihn überhaupt tracken? Bislang gibt es – erstaunlicherweise – dafür noch keine Lösung, um das vor allem auch automatisiert zu machen. Was liegt da näher, als eine Smartphone-App dafür zu entwickeln? Das Handy hat man eh immer dabei. Im Rahmen der WueWW 2023 hat Prof. Dr. Nicholas Müller von der THWS die CO₂-Mobilitäts-App „Bin ich Teil der Lösung?“ vorgestellt.
Für alle, die den Online-Vortrag verpasst haben, ein Interview, in dem Nicholas darauf eingeht:
– wie die App funktioniert,
– wie sie erkennt, ob ich zu Fuß, mit dem Rad, Auto oder Bus unterwegs bin,
– was mit den Daten passiert,
– was noch geplant ist.
Das 12-minütige Interview gibt es als Video …
zum Nachhören …
und zum Nachlesen. Viel Spaß!
Transkript
Anm.: Gegenüber dem Video wurden einzelne Anpassungen am Text vorgenommen, um den Lesefluss zu erhöhen. Inhaltlich wurde nichts geändert.
Ich freue mich, dass heute mal wieder Professor Dr. Nicolas Müller von der THWS zu Gast ist. Nicholas hat im Rahmen der Wuerzburg Web Week 2023 am 20. November eine CO₂-Mobilitäts-App vorgestellt. Das war richtig klasse. Ich dachte mir, da müssen wir jetzt einfach noch mal ein Interview machen.
Nicolas, wie kam es zu dieser Idee? Worum geht es bei der CO₂-Mobilitäts-App?
Also erst mal Danke für die Organisation der Wuerzburg Web Week 2023 und die Möglichkeit, dass wir sie da vorstellen konnten. Das war wieder eine super Veranstaltung, um solche Dinge zu platzieren.
Wie kam es zu dieser Idee? Meine Forschungsprofessur lautet „Sozioinformatik und gesellschaftliche Aspekte der Digitalisierung“. Wir haben uns die Frage gestellt: Wie könnte man das Problemfeld von Klimawandel, CO₂-Ausstoß und was den eigenen Impact betrifft, besser erfassen?
Momentan geht das noch nicht so wirklich. Das heißt, wenn ich wissen möchte, wie groß ist mein CO₂-Fußabdruck, wenn ich heute mit dem Bus zur Arbeit gefahren bin, dann kann ich mir das nicht wirklich herleiten. Es ist ein diffuses Gefühl, ob das jetzt besser oder schlechter gewesen ist, als wenn ich das Auto genommen hätte. Auf einer abstrakten Ebene weiß ich, es wäre besser gewesen, wenn ich stattdessen das Fahrrad genommen hätte, aber da hört es dann auch schon auf. Ich weiß nicht, wie viel besser oder wie viel schlechter meine Entscheidungen in der Mobilitätsfrage sind.
Und wenn man das dann weiterdenkt, kommt man natürlich an den Punkt: Städte wissen das auch nicht, ihnen liegen keine Daten vor, wie hoch der CO₂-Verbrauch hinsichtlich Mobilität innerhalb der Stadtgrenzen oder auch für die Region insgesamt ist. Das wäre für eine Entscheidungsgrundlage ja wichtig.
Aktuell wird über andere Wege versucht, das zu eruieren, etwa indem man sagt: Es wurden so und so viele Personenkilometer zurückgelegt, oder es wurden so und so viele Liter Benzin verkauft. Damit versucht man näherungsweise an die Daten zu kommen, aber der exakte Wert ist einfach nicht da.
Wenn man dann weiter recherchiert – was wir an der Professur gemacht haben – kamen wir auf die Problematik, dass wir als Land insgesamt kein besonders hohes CO₂-Budget mehr haben. Deutschland versucht ja, bis 2040 klimaneutral zu sein. Bei dem momentanen Verbrauch müssten wir eigentlich um 2030 herum aufhören, CO₂ zu emittieren. Das macht die Sache noch mal interessanter.
Das heißt, wir haben ein fixes CO₂-Budget, was wir noch emittieren dürfen, und wir wissen aber nicht wirklich, was wir aktuell gerade verbrauchen, außer über die Näherungswerte.
Und dann haben wir uns gefragt, wie wir das auf einer ganz niedrigschwelligen Ebene gewuppt kriegen, damit Menschen Angaben zu ihrem CO₂-Verbrauch machen können. So kam es zur CO₂-App. Wir dachten uns, es kann unmöglich darauf hinauslaufen, dass ich mir selbst, nachdem ich eine Strecke gegangen oder gefahren bin, noch mal irgendwo einen Wert raussuche, den multipliziere mit irgendwelchen statistischen Mittelwerten; das sollte stattdessen automatisiert erfolgen.
Wir setzen jetzt einfach mal als gegeben voraus, dass ein Handy immer dabei ist, wenn ich unterwegs bin. Dann haben wir eine kleine KI trainiert, die darauf achtet – ganz banal gesprochen – wie sehr rüttelt es während der Bewegung und wie schnell erfolgt so eine Bewegung? Dadurch, dass wir die KI bereits auf einem großen Computer trainiert haben, nimmt sie nicht mehr viel Rechenleistung auf dem Handy in Anspruch und kann einfach dadurch, dass es in meiner Hosentasche, in meiner Jackentasche oder in meinem Rucksack ist, näherungsweise bestimmen: Bin ich jetzt mit dem Auto unterwegs, mit dem Bus, dem Rad oder zu Fuß?
Aber wie kann man in der Stadt feststellen, dass ich mit dem Bus oder mit dem Auto unterwegs bin?
Streng genommen haben wir zwei Apps: eine Trainingsdaten-App, mit der wir von der Forschungsprofessur durch die Gegend laufen, um Daten zu sammeln. Da gebe ich das tatsächlich an.
Für die Nutzer-App ist das nicht mehr notwendig. Wenn ich da zu Fuß unterwegs bin, bin ich relativ langsam. Außerdem gibt es den tollen Effekt, dass ich immer Schritte zwischendrin mache. Das bedeutet, ich habe stets einen Moment, an dem ich kurz stehen bleibe und mich dann wieder sehr ruckartig bewege. Das sind diese zwei wesentlichen Elemente, die das Handy erkennt als „Aha, ich bin relativ langsam, und ich habe immer eine Bewegung, die schrittweise erfolgt.“ Dann weiß die App, dass diese Strecke zu Fuß zurückgelegt wird.
Mit dem Fahrrad rüttelt es weniger, und die Bewegung ist ein bisschen schneller als zu Fuß. Das Kniffligste ist Autofahren und Bus. Zum Glück gibt es Bushaltestellen, die auf OpenStreetMap zur Verfügung stehen. Sobald das System erkennt, ich halte immer wieder an den Bushaltestellen an, dann ist das eine Busfahrt.
ÖPNV ist immer Bus? Also es könnte ja auch eine Straßenbahn sein. Was machen wir da jetzt?
Momentan funktioniert bei der App zu Fuß, mit dem Fahrrad und Auto. Bei Bus und Tram klappt das näherungsweise, da sind wir gerade noch am Feinschliff, damit wir alle Haltestellen hinterlegen. Dann kommt als nächstes großes Update Zugfahrten. Das ist sogar noch einfacher. Bahnstrecken liegen ja abseits von Straßen und sind ebenfalls hinterlegt sowie die jeweiligen Bahnhöfe. Von daher wissen wir dann auch, ob die Leute mit dem Zug unterwegs sind.
Okay, jetzt tracke ich mit eurer App meinen CO₂-Fußabdruck, aber was passiert mit den Daten? Wo sehe ich sie und was passiert dann?
Beim Tracken denkt jeder sofort: Irgendjemand kriegt mit, wo ich unterwegs bin. Das passiert auf keinen Fall. Das sind Daten, die verschlüsselt nur auf dem eigenen Handy vorliegen. Das einzige, was das System jetzt noch macht, ist abends, wenn das Handy im WLAN ist, den Tages-CO₂-Score hochzuladen. Dann weiß ich ja, ich war tagsüber so viel zu Fuß unterwegs, so viel mit dem Fahrrad, so viel mit dem Auto und dem Bus.
Das wird dann multipliziert mit den Durchschnittsdaten vom Bundesumweltamt. Also, wie viel CO₂ pro Personenkilometer im Schnitt mit den einzelnen Verkehrsmitteln anfallen. Dieser Wert wird dann hochgerechnet und zeigt an: Ich habe heute so viel CO₂ für Mobilität verbraucht. Und nur dieser Wert, keine GPS-Koordinaten, keine Wegstrecken, keine Uhrzeiten oder irgendwas in die Richtung, noch nicht einmal Merkmale, welche ID diese Daten jetzt hochlädt.
Es wird nur dieser Wert hochgeladen, und dann wird geschaut, was ist im Schnitt von allen verbraucht worden. Das heißt, der CO₂-Verbrauch von allen, die die App nutzen. Daraus wird ein Mittelwert gebildet, und man sieht auf der Plattform, ob mein Wert oberhalb oder unterhalb liegt. Anders formuliert: Bin ich an diesem Tag Teil der Lösung gewesen? Das ist dann auch schon alles.
Dieser hochgeladene Wert ist öffentlich einsehbar und steht den Stakeholdern in der Stadtverwaltung, im Landkreis und so weiter zur Verfügung. Sie können dann sehen: Okay, heute haben alle, die die Software nutzen, so viel CO₂ verbraucht. Damit hat man tatsächlich mal einen quantitativen Wert, mit dem man weiter arbeiten kann.
Das heißt, es gibt tatsächlich noch gar nichts? Sämtliche Regierungen in Deutschland haben überhaupt keine Ahnung, sei es Bundesregierung, Landesregierung oder auf kommunaler Ebene?
Das ist jetzt extrem weit gefasst. Ich weiß nicht, ob es irgendwo den ein oder anderen Wert gibt. Bei unserer Recherche haben wir kein System gefunden, das einem das mitteilen kann. Außer eine Art Fahrtenbuch-App, bei der ich manuell hinterlege: Ich habe heute so viele Kilometer mit diesem Verkehrsmittel zurückgelegt. Es gibt aber nichts, bei dem ich einfach nur das Handy in die Hosentasche stecke und das dann den Wert auf Grundlage der erkannten Fortbewegungsart automatisiert hochlädt.
Noch zwei Fragen: Die App heißt: Bin ich Teil der Lösung? Du hattest im Vortrag auch betont, dass es ja gar nicht darum geht: Guck mal, du hast heute so viel CO₂ verbraucht. Das ist ja richtig böse. Es geht tatsächlich um etwas anderes. Kannst du darauf eingehen?
Ja, es geht uns nicht darum, Leute bloßzustellen. Deswegen heißt sie auch nicht „Bin ich Teil des Problems?“, sondern „Bin ich Teil der Lösung?“ Sie soll die Möglichkeit bieten, überhaupt mal einen Einblick zu kriegen, was mein momentaner CO₂-Verbrauch ist.
Erst wenn ich tatsächlich sehen kann, wie stark mein CO₂-Impact überhaupt ist, kann ich mir Ziele setzen, ihn zu minimieren, wenigstens ein bisschen zu reduzieren oder ihn in Zaum zu halten.
Und die letzte Frage: Ist es denkbar, dass man dann CO₂-neutrales, gutes Verhalten vielleicht „belohnt“. Also habt ihr das auch schon angedacht?
Wir wollen eben nicht Leute bloßstellen und sagen „Du bist Teil des Problems“, sondern eher dazu beitragen, dass die Leute sagen: Okay, ich versuche aktiv, meinen CO₂-Verbrauch noch ein bisschen weiter unterhalb des Durchschnitts zu halten.
Denkbar sind zum Beispiel vergünstigte Fahrradinspektionen, die wir bei Händlerinnen und Händlern aushandeln. Oder vielleicht mit ÖPNV-Dienstleistern zu sprechen, die vergünstigte Bustickets anbieten. Oder wenn ich an einer bestimmten Anzahl an Tagen Teil der Lösung bin, springt ein Monatsticket heraus. Irgendetwas in die Richtung, damit die Leute das Gefühl haben, sie werden dafür belohnt, dass sie versuchen, ihren eigenen CO₂-Ausstoß so niedrig wie möglich zu halten.
Die App gibt es sowohl für Apple als auch Android?Wie heißt sie?
Momentan sind wir noch in den Labor-Prototyp-Phasen. Das heißt, Studierende probieren das in einer Closed Beta gerade aus. Wenn sie dann tatsächlich in die App-Stores kommt, wird sie hoffentlich „Bin ich Teil der Lösung?“ oder entsprechend abgekürzt heißen, aber da müssen wir noch einmal in uns gehen. Wenn es so weit ist, werden wir das auf jeden Fall mitteilen, damit deine Newsletterleser davon erfahren.
Vielen lieben Dank für deine Zeit. Ich hoffe, dass sie bald an den Start geht.
Foto: mauro mora auf Unsplash